Hantsch, Hugo

Hugo Hantsch OSB

Hugo Hantsch

Benediktiner der Abtei Melk; Historiker, Universitätsprofessor, NS-Opfer

* 15. Jan. 1895 Teplitz-Schönau (heute Teplice-Šanov)
06. Aug. 1972 Wien

Hugo Hantsch, Taufname Alois Emmanuel, kam 1895 im nordböhmischen Teplitz-Schönau (heute Teplice-Šanov) als viertes von neun Kindern einer angesehenen bürgerlichen Familie zur Welt. Sein Vater Hugo Heinrich war Beamter der Prager Eisen-Industrie-Gesellschaft. 1913 legte er das Abitur mit Auszeichnung ab, schrieb sich an der Theologischen Fakultät der Karls-Universität in Prag ein und wurde bei der KDStV Ferdinandea im Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen (CV) aktiv. Im selben Jahr bat er um Aufnahme ins Noviziat der Benediktinerabtei Melk. Sein Onkel Amandus John (1867–1942) leitete das Kloster seit 1909 und machte sich vor allem um dessen Modernisierung hoch verdient. Er erkannte die wissenschaftliche Begabung des Neffen und förderte ihn früh. Der Novize legte 1914 die zeitliche Profess ab, inskribierte sich zum Wintersemester 1914/15 in Innsbruck für Philosophie und Theologie und wohnte im Studienhaus Collegium Canisianum der Jesuiten. Kommilitonen waren u. a. der seliggesprochene Vilmos Apor (1892–1945), Bischof von Györ (Ungarn), und Jossyf Ivanovič Kardinal Slipyj (1892–1984), Großerzbischof der ukrainisch griechisch-katholischen Kirche in Lemberg (Ukraine).

Hugo Hantsch trat der CV-Verbindung Austria bei. Da viele Bundesbrüder Militärdienst leisteten, kriegsbedingt Nachwuchs ausblieb und der Theologe dienstbefreit war, formte er die Korporation maßgeblich. 1917 legte er in Melk die feierliche Profess ab, 1918 weihte ihn Bischof Johannes Baptist Rößler (1850–1927) in St. Pölten zum Priester. Der junge Geistliche sollte am Stiftsgymnasium unterrichten, so folgte ein Lehramtsstudium. 1921 promovierte er in Innsbruck über »Die rechtlichen Grundlagen in der klösterlichen Aufnahmeordnung des heiligen Benedikt«, legte 1922 die Lehramtsprüfung für Geschichte und Germanistik und 1923 für Geografie ab. Vorlesungen hörte Hantsch u. a. bei Michael Mayr (1864–1922), Verfechter der Interessen katholischer Korporationen im Reichsrat während der »Wahrmund-Krise« 1907/08 und 1920/21 erster Bundeskanzler Österreichs.

Im November 1922 übernahm er die Stelle des Archivars der Grafen Schönborn auf Schloss Wiesentheid in Unterfranken und bearbeitete zahlreiche unbekannte Quellen zur Geschichte der berühmten Familie und zur regionalen Kultur. Währenddessen besuchte er 1922/23 die Universität Würzburg und absolvierte einen Kurs für Archivare. Seine historische Ausbildung beendete er als außerordentlicher Hörer des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 1924/25 in Wien. Ein Kurskollege war der berühmte Schriftsteller Heimito von Doderer (1896–1966). Hugo Hantsch zeigte sich vielseitig interessiert und legte großen Wert auf eine umfassende Bildung. Deshalb studierte er ergänzend 1926–1928 Rechtswissenschaften in Wien. Seine Habilitation schloss er 1930 bei Heinrich von Srbik (1878–1951) in Geschichte der Neuzeit ab, trotz politisch unterschiedlicher Auffassungen. Zunächst lehrte er an der Universität Wien mit den Schwerpunkten Reichsgeschichte des 18. Jahrhunderts sowie England. 1935 berief ihn Unterrichtsminister Hans Pernter (1887–1951) als Extraordinarius für Neuere Geschichte nach Graz, im gleichen Jahr wurde er zum Mitglied der Historischen Landeskommission für Steiermark ernannt. Hier veröffentlichte er 1937 den ersten Band seiner Geschichte Österreichs, unter Historikern bis heute bekannt als »Der Hantsch«.

Zum Nationalsozialismus bezog er eindeutig Stellung: Er wies einen Verzicht auf staatliche Souveränität zurück und warnte vor einer falschen gesamtdeutschen Idealvorstellung. Österreich und das nationalsozialistische III. Reich würden »zwei Arten deutschen Denkens und deutschen Lebens abgrundtief voneinander trennen. (…) Auf dieser Ebene also kann es kein gesamtdeutsches Bewusstsein geben, es gibt also nicht einmal eine deutsche Kulturgemeinschaft« (zitiert nach Holeschofsky, Hugo Hantsch, S. 60). Trotzdem könne Österreicher und Deutsche vieles verbinden: »gemeinsame Sprache und Dichtung«, sofern Letztere »nichts mit Politik« zu tun hätte, »gemeinsames religiöses Empfinden«, die »echte Reichsidee« als »Organisationsform deutschen und zugleich abendländischen Denkens und Lebens« und »Volkstum« als Zusammengehörigkeitsgefühl in einer »überstaatlichen, geistig-kulturellen Sphäre« (ebd.).

1934 gründete Kanzler Engelbert Dollfuß (1892–1934) den Österreichischen Verband für volksdeutsche Auslandsarbeit (ÖVVA), um Volksdeutsche für die Idee des Ständestaates zu gewinnen. 1935 wurde Hantsch Mitglied des Vorstandes und schließlich Verbandsobmann. Gleichzeitig leitete er für den ÖCV das Amt für Grenz- und Auslandsdeutschtum.

Die Berufung auf einen ordentlichen Lehrstuhl für Geschichte scheiterte, obwohl bereits offiziell ernannt, am Anschluss Österreichs. Schon zuvor ahnte er, was auf ihn zukam, störten doch illegale nationalsozialistische Studenten wiederholt seine Vorlesungen. Als überzeugter Anhänger Habsburgs zählte er zu den ersten, die ihr Amt verloren. Am 21. März 1938, dem Festtag des hl. Benedikt, verhaftete ihn die Gestapo und überstellte ihn im September in das KZ Buchenwald. Im April enthob man ihn offiziell seines Amtes, stellte im Mai seine Bezüge ein, und er verlor den Anspruch auf Ruhestandsunterstützung. Im Februar 1939 folgte die Freilassung unter Publikationsverbot und Freiheitsbeschränkungen. Einen Ruf an die Universität New York 1939 lehnte er ab. Stattdessen ernannte ihn sein Abt zum Schutz vor Übergriffen zum Pfarrer des Dorfes Ravelsbach in Niederösterreich.

Nach Kriegsende, im Mai 1946, folgte die erneute Berufung nach Graz. Noch im Herbst wechselte Hantsch als Ordinarius für allgemeine Geschichte der Neuzeit an die Universität Wien, wo er die Nachfolge seines akademischen Lehrers von Srbik antrat. Maßgeblichen Anteil hatte er am Wiederaufbau des Fachbereichs Geschichte der philosophischen Fakultät, die er als Dekan 1955/56 leitete. 1958 wurde er ordentliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, deren Sektion für Geschichte er später vorstand.

Als NS-Opfer unbelastet aus dem III. Reich hervorgegangen, war Hugo Hantsch wissenschaftspolitisch in den Nachkriegsjahren sehr aktiv. Er strebte danach, Schlüsselpositionen wie die Lehrstühle für Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Wien oder für Österreichische und Neuere Geschichte in Graz mit katholisch-konservativen Professoren zu besetzen. Allerdings war er auch bereit, weltanschaulich Andersgesinnte zu unterstützen, wenn sie seinen wissenschaftlichen Anforderungen entsprachen. Fritz Fellner, der sich selbst als liberaler Agnostiker verstand, wurde von ihm sehr geschätzt und gefördert. Selbst früheren Nationalsozialisten gab er eine Chance, wenn deren Umkehr glaubwürdig erschien. 1955 habilitierte sich das ehemalige SA- und NSDAP-Mitglied Adam Wandruszka (1914–1997) bei ihm. Und in einem Gutachten befürwortete er 1965 die Ernennung Ludwig Jedlickas, 1938 ein Rädelsführer beim Sturm der Hitlerjugend auf das erzbischöfliche Palais in Wien, zum außerordentlichen Professor. Hantschs Versuch, zusammen mit internationalen Gelehrten eine mehrbändige Geschichte der Habsburger herauszugeben, scheiterte 1958. 1966 emeritierte er und starb 1972.

Hugo Hantsch zählte zu den wichtigsten Historikern Österreichs im 20. Jahrhundert. Über 140 Veröffentlichungen zeugen von der Vielfalt seiner Interessen und einer enormen Schaffenskraft. Bereits als Novize veröffentlichte er 1914 seine erste Arbeit zur Pflege der Wissenschaften im Stift Melk. Grundlegend bis heute ist die Biographie über Friedrich Carl von Schönborn von 1929, seine zweibändige Geschichte Österreichs gilt als Standardwerk (ein dritter Band kam nicht mehr zustande). Im Laufe seines Lebens erhielt er zahlreiche kirchliche, staatliche und wissenschaftliche Ehrungen, u. a. verlieh ihm die Universität Innsbruck das Ehrendoktorat der juristischen Fakultät. Mit Freude nahm er aus der Hand seiner zahlreichen Schüler die Festschriften zum 60. Geburtstag – die Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 1955 – sowie zum 70. Geburtstag »Österreich und Europa« entgegen. Fritz Posch schreibt über ihn: »Seine ausgeglichene Natur mit tiefer Abneigung gegen zelotische Enge und weltanschauliche Aggressivität konnte auch jeden Andersdenkenden in ihren Bann ziehen. Wer einmal seine Zuwendung erfahren hatte, durfte das ganze Leben damit rechnen« (Posch, Gedenken an Hugo Hantsch, S. 159).

Winfried Schwab, Jan. 2022


D:

Vest.: 1913; Prof.: 1914, 1917; Sac.: 1918.

W:

Der deutsche Bauernkrieg, Würzburg 1925 · Jakob Prandtauer (Artes Austriae 6), Wien 1926 · Reichsvizekanzler Karl Graf von Schönborn (1674–1746) (Salzburger Abhandlungen zur Wissenschaft und Kunst 2), Augsburg 1929 · Die Entwicklung Österreich-Ungarns zur Großmacht (Geschichte der führenden Völker 15), Freiburg im Breisgau 1933 · Österreich. Eine Deutung seiner Geschichte und Kultur, Innsbruck 1934 · Geschichte Österreichs, Bd. 1, Innsbruck 1937 · Österreichische Friedensbemühungen 1936/38, Brixlegg 1938) · Geschichte Österreichs, Bd. 2, Graz 1950 · Die Nationalitätenfrage im alten Österreich, Wien 1953 · Karl Eder, H. H., Hans Kramer (Hrsg.): Wiener historische Studien, Wien 1953 · H. H., Alexander Novotny (Hrsg.): Festschrift für Heinrich Benedikt, Wien 1957 · H. H. (Hrsg.): Gestalter der Geschicke Österreichs, Innsbruck 1962 · Die Kaiseridee Karls V., Graz 1958 · Leopold Graf Berchtold. Grandseigneur und Staatsmann, Graz 1962 · Prinz Eugen als Staatsmann und Mäzen, Wien 1963 · H. H., Eric Voegelin, Franco Valsecchi (Hrsg.): Historica. Studien zum geschichtlichen Denken und Forschen, Freiburg, Basel, Wien 1965 · Jakob Prandtauer, der Klosterarchitekt des österreichischen Barock, Wien 1965 · Leopold Graf Berchtold. Grandseigneur und Staatsmann, Graz 1966 · Austroslavisme et panslavisme. Conférence prononcée à l’Institut Autrichien de Paris (Publications de l‘Institut Autrichien de Paris 4), Paris 1968 · und zahlreiche Aufsätze.

Q:

Melk: Stiftsarchiv, NL Hugo Hantsch; Ravelsbach: Pfarrchronik Ravelsbach · Wien: Diözesanarchiv · Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, PA Hugo Hantsch · Universitätsarchiv: Personalakt Hugo Hantsch · Fonds des Archivs des Institutes für Geschichte · Archiv der ÖAW; Graz: Universitätsarchiv, Personalakt Hugo Hantsch · Steiermärkisches Landesarchiv, NL Ferdinand Bilger · Innsbruck: Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Nachlass Hans Kramer · Regensburg: Institut für Südostforschung, Nachlass Fritz Valjavec.

L:

Institut für österreichische Geschichtsforschung und Wiener Katholische Akademie (Hrsg.), Österreich und Europa. Festgabe für Hugo Hantsch zum 70. Geburtstag, Graz, Wien, Köln 1965 · Günther Hamann: Hugo Hantsch, in: Almanach der Österreichischen Akademie der Wissenschaften für das Jahr 1973, 123 (1974), S. 338–367 [mit Schriftenverzeichnis] · Fritz Posch: Gedenken an Hugo Hantsch († 6. 8. 1972), in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark 73 (1982), S. 153–159 · Hantsch, P. Hugo OSB, in: Gesellschaft für Studentengeschichte und studentisches Brauchtum e. V. (Hrsg.), Widerstand und Verfolgung im CV, München 1983, S. 95–97 · Johannes Holeschofsky: Hugo Hantsch. Eine biografische Studie, St. Pölten 2014 [mit Schriftenverzeichnis bis 1964] · Manfred Kuhl, Farbe tragen, Farbe bekennen. 1938–1945. Katholische Korporierte in Widerstand und Verfolgung. Teil 2: Ergänzungsband, Biographien, Wien 22020, S. 114–115 · Winfried Schwab: Hantsch OSB: P. Hugo (Alois Emmanuel), in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. XLIII, Nordhausen 2021, Sp. 767–777.


Zitierempfehlung: Hantsch, Hugo, in: Biographia Benedictina (Benedictine Biography), Version vom 3.01.2022, URL: http://www.benediktinerlexikon.de/wiki/Hantsch,_Hugo

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